Avers-Bergalga
Stationen Murmeltierlehrpfad
Station 1
Allgemeines über Murmeltiere
Die Murmeltiere gehören zu den Hörnchenartigen innerhalb der Familie der Nagetiere. Weltweit werden insgesamt 14 Murmeltierarten unterschieden: 6 Arten leben in Nordamerika, 7 Arten in Asien und in Europa 1 Art («Alpenmurmeltier»).
Alpenmurmeltiere sind tagaktiv und leben in Gruppen von bis zu 20 Tieren. Während des Winters hält die ganze Gruppe in einem Bau Winterschlaf.
Freilebende Murmeltiere werden durchschnittlich 5 bis 6 Jahre alt; das älteste Exemplar erreichte 13 Jahre. Nach der zweiten Überwinterung sind sie geschlechtsreif. Im Gegensatz zu anderen Hörnchen besitzen sie einen massiven Körperbau, der bestens für die Grabtätigkeit geeignet ist. Die starken Zähne wachsen – wie bei allen Nagetieren – zeitlebens nach, werden aber beim Fressen dauernd abgewetzt.
Station 2
Verbreitung
Die Urahnen der Alpenmurmeltiere wanderten vor ungefähr 2,5 Mio. Jahren von Nordamerika nach Asien ein. Von dort breiteten sie sich während den Eiszeiten weiter nach Europa aus.
Heute besiedeln die Alpenmurmeltiere den ganzen Alpenbogen. Das Vorkommen der Murmeltiere in Frankreich und Italien (roter Bereich) ist nur umrissen dargestellt, weil derzeit keine genauen Angaben zur Verfügung stehen. Ferner besteht eine Unterart in den Karpaten. Die Bestände in den Pyrenäen beruhen auf Aussetzungen.
Das Hauptverbreitungsgebiet in den Bergen liegt zwischen 400 m bis 500 m über der lokalen Baumgrenze. Unterhalb der Waldgrenze leben die Murmeltiere auf Alpweiden. Im hochalpinen Bereich können die Murmeltiere noch bis auf 3000 Meter über Meer angetroffen werden, wenn genügend Pflanzenbewuchs vorhanden
Station 3
Leben mit Löchern und Bauen
Bautypen
Murmeltiere verbringen den grössten Teil ihres Lebens im Untergrund. Dazu graben die Tiere mit den kräftigen Füssen und teils mit den Zähnen verschiedene Röhrensysteme. Oft besonders imposant sind die Auswurfhügel der Sommerbaue, die sogenannten «Burgen» – ein Werk von vielen Generationen. Der Kessel des Winterbaus kann bis zu 7 m unter der Oberfläche liegen. Dadurch kann es darin auch während der langen Winterschlafzeit nicht gefrieren.
Baue und Löcher im Gelände
Um von einem Hauptbau zum nächsten zu gelangen, benutzen Murmeltiere meist dieselben Pfade. Auf diesen Weglein treffen die Tiere immer wieder auf ihre Fluchtlöcher. Solche Löcher haben die Tiere auch in der Nähe ihrer Fressplätze gegraben. Die Murmeltiere wissen genau, wo Fluchtlöcher sind. Bei Gefahr flüchten sie sofort zum nächstgelegenen.
Station 4
Gruppenleben
Zunahme der Gruppengrösse nach einem bis vier Jahren
Fast alle Murmeltierarten leben in grösseren Gruppen. Beim Alpenmurmeltier wird die Gruppe von einem erwachsenen Paar, dem «Bär» und der «Katze», dominiert. Stirbt zum Beispiel eine ganze Gruppe im Winter, wandern im Sommer rasch jüngere Tiere von benachbarten Gebieten ein und versuchen, die Stelle des Bären oder der Katze einzunehmen. Im darauffolgenden Frühjahr paaren sich die beiden Tiere, die sich gegen ihre Rivalen durchsetzen konnten. Im Sommer kommen ihre ersten Jungen zur Welt. Im zweiten und dritten Jahr nach der erfolgreichen Ansiedlung erfolgen weitere Würfe. So entstehen grosse Gruppen mit Nachkommen verschiedener Jahrgänge.
Verteilung der Altersklassen von rangtiefen Murmeltieren
Meist wandern in einer Population jüngere Tiere erst als Dreijährige oder noch älter aus ihrer Geburtsfamilie ab. Nur den stärksten Abwanderern gelingt es, sich irgendwo die Stellung des Bären, beziehungsweise der Katze zu erkämpfen. Schwächere Abwanderer und auch solche, die ihre dominierende Position verloren haben, fallen Raubfeinden zum Opfer oder sterben als Einzelgänger im Winter.
Station 5
Jahreszyklus / Tagesaktivität
Winterschlaf
In diesem Tal dauert der Winterschlaf der Murmeltiere etwa vom 1. Oktober bis Mitte April. Danach beginnt die Paarungszeit ab 20. April und kann, je nachdem wann sie den Winterschlaf beenden, bis zum 6. Mai dauern. Die Weibchen sind nur einen Tag lang empfängnisbereit.
Tagesaktivität
Nur an kühlen Sommertagen fressen Murmeltiere auch über die Mittagszeit. Dagegen ziehen sie sich an heissen Tagen beim Sonnenhöchststand in ihre Baue zurück. Diese Hitzeempfindlichkeit dürfte der Grund sein, warum Alpenmurmeltiere nicht im Unterland vorkommen. Dort verbliebe ihnen zu wenig Zeit, um genügend Fett für die nächste Überwinterung aufzubauen.
Station 6
Territorium
Die Grenzen des Territoriums werden täglich mit Sekret der Wangendrüsen nachmarkiert. Dabei streifen die Tiere ihren Kopf an Grasbüscheln oder an anderen auffälligen Strukturen ab. Die Wohngebiete der einzelnen Familien sind durchschnittlich 2,5 ha gross.
Das Gruppenleben der Murmeltiere spielt sich in einem klar begrenzten Gebiet ab, im Territorium. Die stärksten Tiere in der Gruppe verteidigen ihr Territorium gegen fremde Artgenossen. Aber Männchen vertreiben nur männliche Eindringlinge und Weibchen verjagen nur weibliche Tiere. Kann ein gruppenfremdes Murmeltier nicht vertrieben werden, kommt es zum Kampf. Der Gewinner kann dann in der Gruppe bleiben, der Verlierer muss abziehen! Aus solchen Kämpfen gehen meist Bissverletzungen hervor. Manchmal können sogar so schwere Verletzungen entstehen, dass das Tier daran stirbt.
Station 7
Winterschlaf
Ohne Nahrungsaufnahme überwintern alle Gruppenmitglieder bis zu 7 Monaten im selben Winterbau. Dabei können sie ihre Körpertemperatur bis auf 3° C absenken. Während diesen Kältephasen atmen sie nur noch 1 bis 2 mal pro Minute. Im selben Zeitintervall schlägt das Herz noch 5 mal. Dadurch drosseln sie ihren Energieverbrauch drastisch. Diese Kältephasen werden zirka alle 12 Tage unterbrochen, um – so wird vermutet – den Organismus wieder in Gang zu bringen und zu regenerieren. Nur Dank den im Sommer mit der Nahrung aufgenommenen essenziellen Fettsäuren sind Murmeltiere in der Lage, mit solch tiefen Körpertemperaturen zu leben. Geschlafen im eigentlichen Sinn wird im Übrigen nur während den Warmphasen, wenn die Tiere um die 34° C Körpertemperatur haben.
Schlafposition der Murmeltierfamilie
Damit noch mehr Fettreserven gespart werden, erhöhen alle Gruppenmitglieder ihre Körpertemperatur zur gleichen Zeit, wobei der Bär als erster aufwärmt, gefolgt von seinen Söhnen, der Katze und den Jungen. Die Jungtiere werden in der Mitte gehalten und so den ganzen Winter hindurch gewärmt. Ohne diese Wärme würden sie nicht überleben. Je näher ein Gruppenmitglied mit den Jungen verwandt ist, umso mehr wärmt es sie.
Station 8
Feinde / Nahrung
Die bedeutendsten Raubfeinde des Alpenmurmeltiers sind Steinadler und Füchse. Daneben können Marder, Kolkraben und Habichte für Jungtiere gefährlich werden. Als weitere Feinde gelten Jäger und streunende Hunde. Zur Feindabwehr warnen sich Murmeltiere gegenseitig. Dabei stossen sie einen gellenden Ruf aus, der wie ein Pfiff klingt.
Nahrung
Als Futter werden generell junge, grüne Triebe bevorzugt. Im Frühjahr steht den Murmeltieren im Bregalga-Tal wegen der späten Schneeschmelze erst ab Mitte Mai eine gute Nahrungsgrundlage zur Verfügung. Dann werden hauptsächlich frisch spriessende Gräser und Blätter der Soldanelle gefressen. Knollen oder Wurzeln werden eher selten aufgenommen. Später, während des kurzen Alpsommers, folgen vor allem Kräuter, wie der Alpenklee und Mutternwurz, oder Blüten und Samen. Diese sind besonders reich an Substanzen, die wichtig für den Winterschlaf sind (zum Beispiel essenzielle Fettsäuren). Ab und zu gelingt es ihnen, Ohrwürmer, Heuschrecken oder Eidechsen zu erwischen.
Die Nahrung wird mit den kräftigen Schneidezähnen abgebissen und nur wenig mit den Backenzähnen zerkaut. Die täglich verzehrte Pflanzenmenge beträgt beim erwachsenen Tier zirka 10 % des Körpergewichts, das heisst bis zu 500 g. Im Winterschlaf fressen sie nichts; sie zehren nur von ihren Fettreserven.
Station 9
Mensch und Murmeltier
Bereits in früheren Jahren waren Murmeltiere über ihr Verbreitungsgebiet der Alpen hinaus bekannt. So schrieb Goethe das «Marmottenlied» und Ludwig van Beethoven vertonte es. Darin wird die Vorführung eines zahmen Murmeltieres besungen, das ein Savoyardenknabe für Jahrmärkte weit nach Norden und Osten mit sich herumführte. Heute finden diese beliebten Tiere oft in der Werbung ihren Platz.
In der Schweiz und Österreich werden im Jahr mehr als 10 000 Murmeltiere auf der Jagd erlegt. Das Fleisch wird als Ragout zubereitet und das ausgelassene Fett in der Volksmedizin als Murmeltieröl bei Mensch und Tier genutzt. Dieses Öl wird zum Beispiel bei Gelenkschmerzen auf die Haut aufgetragen und bei Erkältungen in geringen Mengen getrunken. Die wohl entscheidenden Wirkstoffe sind cortisonähnliche Substanzen, die mit den essenziellen Fettsäuren zu den entzündeten Stellen leicht hingebracht werden. Das Fell wurde früher als Jochunterlage oder zur Linderung von Rheuma aufgelegt. Die kräftigen Zähne werden zu prachtvollem Schmuck verarbeitet.
Station 10
Irrlehren
Die zwergenhafte Gestalt der Murmeltiere bewog die Menschen, die Murmeltiere in unzähligen Sagen und Märchen einzuflechten. Oft werden die Tiere als verstorbene oder verwunschene Personen dargestellt.
Die aus der Römerzeit stammende Fabel, wie Murmeltiere heuen, wird heute noch sehr gerne den Kindern erzählt. Dabei ist klar, dass die Art, wie das Heu in den Bau eingebracht wird, erdichtet wurde. Der kahle Rückenstreifen der Murmeltiere, der im Frühjahr beobachtet werden kann, stammt nicht vom «Heuziehen». Dieser ist auf das wochenlange Liegen in derselben Stellung während des Winterschlafs zurückzuführen. Daneben tragen die Tiere in ihrem Maul zwar möglichst trockenes Gras ein, aber sie lassen es vorher nicht an der Sonne trocknen. Zudem dient dieses «Heu» nur zur Polsterung des Kessels, aber keinesfalls als Nahrung.
Das ausgedehnte Sonnenbaden vertreibt wahrscheinlich Fellparasiten. Aber gleichzeitig kühlt sich das Tier, indem es durch die Bauchhaut angestaute Wärme an den Boden oder Felsen abgibt.
Ebenso wenig wird der Eingang des Winterbaus durch ein uraltes Tier von aussen verschlossen, das sowieso bald sterben würde. Der sogenannte «Zapfen» wird von innen her abgeriegelt. Der grösste Teil des Winterschlafs ist im Übrigen eine Kältestarre (Kaltphase) und folglich kein echter Schlaf. Richtig geschlafen wird nur während den wiederholten, kurzen Warmphasen.
Station 11
Fortpflanzung
Die Paarungszeit findet innerhalb von zwei Wochen nach dem Winterschlaf statt. Die Paarung wird so früh vollzogen, damit die Neugeborenen bis zum Herbst genügend Zeit zum Wachsen haben. Die Empfängnisbereitschaft der Weibchen dauert nur 24 Stunden. Dabei können neben dem Bären auch dessen Söhne sich mit dem Weibchen verpaaren, selbst wenn enge Verwandtschaft zwischen ihnen besteht. Nicht-Söhne des Bären sind jedoch meist von der Paarung ausgeschlossen.
Anfang Juli verlassen maximal 6 Junge (im Mittel 3 bis 4 Junge) den Wurfbau. Alle Jungen stammen ausschliesslich von der Katze. Jüngere gedeckte Weibchen stresst die Katze so stark, dass keine Jungen geboren werden, oder die Neugeborenen werden von der Katze getötet. Falls ein Rivale den Bär vertreibt, tötet der neue «Chef» die säugenden Neugeborenen. Dadurch verausgabt sich die Katze nicht so stark und ist im nächsten Jahr erneut bereit, weitere Junge zu gebären – dieses Mal vom neuen Bären.